Geschichte des SBB – Teil III: Die Jahre 1933–1945 | Sächsischer Bergsteigerbund

Geschichte des SBB – Teil III: Die Jahre 1933–1945

Mit der nationalsozialistischen Machtergreifung im Frühjahr 1933 wurden alle Organisationen umgehend einer grundsätzlichen Prüfung und Entscheidungsfindung durch eingesetzte „nationalsozialistische Sportkommissare“ in allen Ebenen und Sportdisziplinen unterzogen. Das Mitteilungsblatt  des SBB, „Der Bergsteiger“, vom Juli 1933, veröffentlichte eine einschränkende „Verordnung über die Neuaufnahme von Mitgliedern!“, die auch für alle Klubs im Sächsischen Bergsteigerbund (SBB) galt.

Das nationalsozialistische „Wunderwort“ der ersten Monate im Jahr 1933 hieß GLEICHSCHALTUNG. Da betrieb man die Auflösung bisheriger demokratischer Strukturen (Wahl, Unabhängigkeit usw.), eine Aufnahmesperre für Mitglieder aus aufgelösten Vereinen, die Aufnahme von NSDAP-Mitgliedern auf staatlichen Druck oder in vorauseilendem Gehorsam in die Vorstände als sogenannte „nationalsozialistische Vertrauensleute“.

Beim Sächsischen Bergsteigerbund waren das Albert Schiefner und Martin Wächtler. Sie hatten unter anderem die Aufgabe, den Vorstand von „Marxisten“ zu reinigen und nationalsozialistische Forderungen und Aufgaben durchzusetzen. Im Juni schrieben diese „Vertrauensleute der NSDAP beim Sächsischen Bergsteigerbund“ ihren Bundesmitgliedern: „Jedes Mitglied wird aufgefordert, die Bestrebungen der Regierung in jeder Hinsicht zu unterstützen und sich willig einzugliedern in die Gesamtheit unseres Volkes. Ein einziges unüberlegtes Wort kann uns zwingen, den Gesamtvorstand im Interesse des Bundes mit Eurem Ausschluß zu beauftragen.“ Verbunden war das mit der Annahme von vorgeschriebenen neuen „Einheitssatzungen“ mit dem „Arierparagraphen“, der Einführung und Durchsetzung des „nationalsozialistischen Führerprinzips“, der Genehmigung der Vorstände durch zuständige Parteiinstitutionen, die Durchsetzung dieser Maßnahmen in den untergeordneten Gliederungen – in unserem Falle in den Klubs – sowie die Einsetzung von nationalsozialistischen „Dietwarten“, die für die ideologische Bildung und Erziehung zuständig waren. Im SBB wurde dafür Max Richter vom „T.C. Wanderlust 1896“ eingesetzt.

Die überwiegende Mehrzahl der Bundesmitglieder dürfte zu mehr oder weniger willigen Mitläufern gehört haben. Der funktionierende Alltag mit gewisser Freizügigkeit und Privatheit war wichtiger als die Politik, von der man sowieso nicht viel hielt, und die gern den Anderen überlassen wurde. Die Auflösung konkurrierender und missliebiger Vereine interessierte offensichtlich wenig. Die geschickte und massenwirksame Propaganda der Nazis fiel deshalb bei sehr vielen Menschen auf fruchtbaren Boden. Sie gehörte zum Alltag unterm Hakenkreuz. So war für die Mehrheit das Geschehen kein Bruch, sondern eine gewisse Fortsetzung des Bisherigen, teils mit einigen positiven Entwicklungen wie dem Rückgang der Arbeitslosigkeit oder der gewünschten Ordnung statt missliebiger Straßenkämpfe und Parteienstreit. Der SBB gehörte weder zu den aufgelösten Vereinen noch zu den „reinen“ nationalsozialistischen Organisationen. Er war mehr eine typische kleinbürgerliche Organisation der Mitte. Man hat sich angepasst und überlebte dadurch bis 1945, wenn man glücklicherweise zu den Überlebenden gehörte. Für einen Großteil der Mitglieder zählte, dass wieder Arbeit vorhanden war und Geld verdient wurde, womit regelmäßige ungestörte wöchentliche Kletterfahrten möglich waren, eine winterliche Riesengebirgsfahrt, ab und zu eine Alpenfahrt und vielleicht sogar ein fahrbarer Untersatz erreichbar schien. Man wollte am verkündeten Aufstieg beteiligt sein.

Nach erfolgter Gleichschaltung 1933 und der Eingliederung in den dafür auf Reichsebene neu geschaffenen „Deutschen Bergsteiger- und Wanderverband“ (DBWB), der Berufung Martin Wächtlers zum nationalsozialistischen Bundesführer sowie der Ablösung des bisherigen – übel denunzierten – Schriftleiters Paul Gimmel waren mehrere Anträge auf umgehende Eingliederung des SBB in den „Deutschen und Österreichischen Alpenverein“ (DuÖAV) am Veto von Vorstandsmitgliedern, Klubführern und Bundesmitgliedern gescheitert. Einerseits wurden alle geforderten Maßnahmen im Interesse der Erhaltung und Weiterarbeit erfüllt, andererseits wollte man die Unabhängigkeit des SBB vom Deutschen- und Österreichischen Alpenverein wahren.

Schon in der Vorstandssitzung des SBB am 16. Juni 1933, wurde auf Vorschlag von Kriminalkommissar und SA-Mitglied Walter Wolf der Bildung eines „Bergsteigersturmes der SA“ zugestimmt. Die Nationalsozialisten im SBB und anderen Dresdner Alpenvereinssektionen sahen es vermutlich als „Ehrenpflicht gegenüber dem nationalsozialistischen Staat“ an, eine derartige Einrichtung zu initiieren. Aus vorhandenen Unterlagen ist zu entnehmen, dass es dem Vorstand dabei um eine Aufwertung der Arbeit und die Hervorhebung der eigenen Rolle ging. In der SBB-Mitgliederzeitschrift „Der Bergsteiger“ sowie in Schreiben an alle Mitgliedsklubs erfolgten mehrfach Aufrufe zur freiwilligen Meldung von mindestens zwei bis drei Mitgliedern pro Klub. Als es dabei nicht zu den erhofften Ergebnissen kam, wurde zunehmend Druck auf die Klubs ausgeübt. Es wurde sogar gedroht: „Klubs, die abseits stehen, verfallen der Auflösung!“ Es ging der nationalsozialistischen Bundesführung um eine Politisierung der insgesamt „zu unpolitischen Bergsteigerszene“, es ging um eine Isolierung der ehemaligen Mitglieder der „Naturfreunde-Opposition“ und anderer, „noch Abseitsstehender“. Was wäre passiert, wenn der SBB keinen Bergsteigersturm gebildet hätte? Vermutlich NICHTS! Dafür steht das Beispiel München, wo die Alpenvereinsführer die Bildung auf Grund der Zweistaatlichkeit des DuÖAV ablehnten. Einem Bericht im „Bergsteiger“ vom Juli 1934 ist zu entnehmen, dass die feierliche und öffentliche Vereidigung des SA-Bergsteigersturmes am 20. Juni 1934 in Dresden erfolgte.

Aus der Fülle kurioser Geschehnisse dieser Zeit sei eines herausgegriffen: Bei der außerordentlichen Hauptversammlung des SBB am 20. Februar 1934 erlaubt sich Willy Ehrlich eine ungeplante Frechheit. Der 37-jährige parteilose Ehrlich ließ sich bei der Wahl zum Bundesvorsitzenden als Gegenkandidat zum „nationalsozialistischen Führer“ Martin Wächtler aufstellen („Ich wollte es den Nazis mal zeigen“) und erhielt 180 Stimmen. Der bisherige Bundesführer Wächtler dagegen bekam nur 113 Stimmen. Nach einer kurzen Unterbrechung und einer politischen Bearbeitung musste Ehrlich das Amt ausschlagen, und Martin Wächtler wurde erneut Bundesführer. Danach wurde es im SBB ruhig um Ehrlich, bevor dieser im Dezember 1937 seine Aufnahme in die NSDAP beantragte und am 20. Juni 1944 zum stellvertretenden Bundesführer gewählt wurde.

Nach der Aufhebung eines Aufnahmeverbots für ehemalige Mitglieder „marxistischer Vereine“ fanden ab Anfang 1934 rund 80 einstige Angehörige der „Naturfreunde-Opposition (VKA)“ – die bekanntesten unter ihnen waren Erich Langer, Harry Dürichen, Max und Erich Joppe, Kurt Heinicke, Fritz Großmann, Walter Barth – Aufnahme beim Sächsischen Bergsteigerbund sowie seinen Mitgliedsklubs.

Der SBB konnte als „Nichtalpenverein“ sowie als Bund oder Zusammenschluss einzelner Kletterklubs bis Mitte der dreißiger Jahre eine relative Selbstständigkeit und die Kletterklubs eine gewisse Autonomie bewahren. Unbotmäßigen Klubs drohte man mit der Auflösung, Namen aufgelöster Klubs und Vereine veröffentlichte die Zeitschrift des SBB „Der Bergsteiger“ (ab 1935 „Der Sächsische Bergsteiger“). So wurde das Beispiel des Fränkischen Bergsteigerbundes beschworen, der wegen „marxistischer Umtriebe“ der Auflösung verfallen sei. Der Umgang mit Klubs wie „Drei Zinnen“ und „Chinesischer Turm“ war SBB-Mitgliedern untersagt. Über die gesamte Zeit des Nationalsozialismus bildete die recht unpolitische Haltung vieler sächsischer Kletterklubs ein anhaltendes Ärgernis für die Bundesführung. Für die Mehrzahl der Bergsteiger galt die Losung vom unpolitischen Sport und von den Bergen, auf denen die Freiheit wohnt, bevor auch sie von den Forderungen des Regimes eingeholt wurden.

Im März 1936 beging der SBB mit einem großen Stiftungsfest, vielen Auszeichnungen und Würdigungen sowie einer prächtigen Festschrift „Bergsteigen in Sachsen“ sein 25-jähriges Gründungsjubiläum. Allseits erfreute man sich in Dresden der Arbeit des SBB. Seine Feste und Feiern, besonders die Auftritte der Gesangsabteilung zu den verschiedensten Großereignissen, wie beim Empfang der Olympiafackel in Dresden, Konzerte und Bergsingen zogen weit über die Bergsteigerszene hinaus Interessenten an.

Im Wesentlichen ging es im SBB um die kontinuierliche Fortführung der klettersportlich wichtigen und nützlichen Aufgaben, wie Gipfelbuchwesen, Einsatz für die Einhaltung der Kletteregeln, Erfassung der Erstbegehungen, Sammeln von Gipfelbüchern und Bergliteratur, monatliche Herausgabe der Bundeszeitschrift, Arbeit an Kletterführern, Einsatz für den Schutz der Sächsischen Schweiz, Vorbereitung und Durchführung von Alpenfahrten mit der Jungmannschaft und anderes mehr.

Bei der Hauptversammlung des nunmehr umbenannten Deutschen Alpenvereins (DAV) im Juli 1938 in Friedrichshafen wurde von der Alpenvereinsführung endgültig und ultimativ der Beitritt des SBB zum DAV gefordert und ein entsprechender Auftrag des Reichssportführers schriftlich an den Führer des SBB, Martin Wächtler, gerichtet. In diesem Schreiben hieß es unmissverständlich: „Nachdem der Deutsche Alpenverein die Aufgaben des Deutschen Bergsteigerverbandes übernommen hat, ist er der einzige Verband, an den sich die deutschen Bergsteiger anzuschliessen haben, um sich die Zugehörigkeit zum Deutschen Reichsbund für Leibesübungen zu erhalten. Ich ersuche Sie daher, die Verhandlungen wegen Ihres Eintrittes in den Deutschen Alpenverein mit dessen Leitung unverzüglich aufzunehmen.“ Dieser Aufforderung kam der Sächsische Bergsteigerbund mit seinen 66 Klubs und weiteren Einzelmitgliedern (insgesamt 1.400 Mitglieder, davon etwa 500 unter 25 Jahre, etwa 200 bereits im Alpenverein) in einer außerordentlichen Hauptversammlung im November 1938 mit dem Beitritt zum Deutschen Alpenverein und der Annahme von dessen Einheitssatzung nach. Widerspruch dagegen wurde nicht mehr erhoben, denn bei 312 anwesenden Mitgliedern war der Beschluss einstimmig. Der Beitritt wurde der Führung auch dadurch schmackhaft gemacht, dass der SBB ab 1939 jährlich 1.000 Reichsmark vom DAV erhalten sollte, was jedoch immer wieder angemahnt werden musste.

Seine ureigene Aufgabe sah der SBB in der Vertretung der Interessen seiner kletternden Mitglieder gegenüber den Behörden sowie in der Schaffung bzw. Bewahrung der Bedingungen für die Ausübung des uneingeschränkten Klettersports im Elbsandsteingebirge und darüber hinaus. Dem wurden mehrfach von den nationalsozialistischen Machthabern bzw. Behörden Grenzen gezogen. Auf der Grundlage des neuen Reichsnaturschutzgesetzes von 1935 wurden für das Basteigebiet und Teile des Großen Zschandes Kletterverbote, Nächtigungsverbote und nächtliche Betretungsverbote des Waldes erlassen.

Zu den in dieser Zeit klettersportlich gelösten „Problemen“ zählten die Schrammtorwächter Nordwand durch Willy Häntzschel, die Teufelsturm Talseite durch Rudolf Stolle, die Rauschenspitze Talseite durch Helmut Oehme, der Gemeinschaftsweg an der Wilden Zinne durch Rudolf Dreßler und die Westwand am Domwächter durch Helmut Oehme. Die Anerkennung dieser klettersportlichen Leistungen war jedoch nicht einhellig. Es regten sich Kritik und Widerspruch. Einmal mehr standen die sächsischen Kletterregeln, insbesondere Anzahl und Abstand der verwendeten Sicherungsringe, im Zentrum widerstreitender Auffassungen. Besonderer Streitpunkt war die Erstbegehung von Domwächter Westwand. Diese Diskussionen aufgreifend, veröffentlichte Otto Staffel („K.K. Gipfelbrüder 1909“), der Redakteur des „Sächsischen Bergsteiger“, im November 1940 den Beitrag „Das ungeschriebene Gesetz der Bergsteiger“. Arthur Micklich („Klub der Steinmänner“) schrieb für den Gipfelbuchausschuss des SBB, dem auch die technischen Fragen im Bund oblagen, den sehr umfangreichen kritischen Beitrag „Ringe“.

Zusammenfassung:

Beim Sächsischen Bergsteigerbund und seinen angeschlossenen Kletterklubs handelte es sich weder um „faschistische Vereine“ noch um „antifaschistische Vereine“. Der SBB stellt sich dar als „ein Bund mit Vereinen im Nationalsozialismus“, geprägt und beeinflusst von dieser Zeit, aber auch mit ganz ungewöhnlichen Begebenheiten und personell sehr verschiedenen Vorstandszusammensetzungen.

Das war auch mit der Tatsache geschuldet, dass ein Großteil Träger nationalsozialistischen Gedankengutes im SBB und in den Klubs spätestens 1940/41 zum Militärdienst eingezogen worden waren.

Die Zusammensetzung des Vorstandes zu Beginn des Jahres 1944 wies eine weitere Besonderheit auf. Beim Zeugwart Arno Straube zum Beispiel handelte es sich um einen 1934 im Prozess gegen die Dresdner Sozialistische und Kommunistische Arbeiterjugend zu zwei Jahren Zuchthaus Verurteilten.

In den Kriegsjahren kam der Bergsport fast völlig zum Erliegen. Manche Klettergipfel blieben Jahre ohne Besteigung. In den Bergen waren kaum noch Klettergruppen unterwegs. Die nationalsozialistische Gewaltherrschaft und der Krieg forderten unter Wanderern und Bergsteigern große Opfer. Viele Kletterklubs verloren über die Hälfte ihrer Mitglieder, einige von ihnen existierten nicht mehr, Geschäftsstellen und Sammlungen wurden vernichtet. Etwa 30 Wanderer und Bergsteiger – nicht nur des Sächsischen Bergsteigerbundes – bezahlten Ablehnung und Widerstand gegen das nationalsozialistische Regime mit dem Leben. All jenen Mitglieder des Sächsischen Bergsteigerbundes, die Opfer von Krieg, Terror und Gewalt wurden, sei erinnert und gedacht.

Weiter lesen: Teil IV – Die Jahre 1945–1989 (Die Zeit, als der SBB nicht bestand)